Ela Angerer

Der Sprung einer Welle, ein erfrischender Augenblick. Tanzen hier Delphine? Möwen? Ich denke an Ferien am Meer, an den Rausch unter der Sonne. Aber nein, dort in der Mitte ragt etwas aus dem bewegten Wasser heraus. Es ist eine kleine eiserne Verstörung. Vielleicht das Teleskop eines U-Bootes oder eine Waffe.

 

Antony Valerians Bilder sind fast immer Großformate. Sie erleuchten Wände, oft einen ganzen Raum. Das oben beschriebene hat er „Sniper” genannt, der Titel bestätigt die gefühlte Irritation. Auch „Airplane” zieht mich in eine poetische Verstörung hinein: Ich sehe durch den überdimensionalen Fensterausschnitt eines Flugzeuges. Dahinter wartet unter nachtschwarzem Himmel das unendliche Meer.

Valerian ist ein im klassischen Sinn ernsthafter, fast könnte man sagen, konservativer Maler. Kein Effekthascher, wie derzeit so viele im internationalen Art Business, die vor allem darum bemüht sind, möglichst originell diverse Modeströmungen der Popkultur zu zitieren. Er lässt sich Zeit. Hat für sich beschlossen, dass ein Künstlerleben ein Marathon ist und kein Hundertmeterlauf. Arbeitet sich an Störquellen ab, komponiert um sie herum oder darüber.

 

Er versuche Fehler zu machen, sagt er, um sie zu lösen. Diese Prozesse einer Lösungsorientierung beziehen sich auf Ausreißer in der Oberflächenstruktur, auf disproportionale Raumaufteilungen oder auf irritierende Farbkompositionen. Menschen oder Gebäude drängen seitlich aus der Leinwand. Maßstabssprünge verführen zu einer neuen Sichtweise — ein Boxring etwa, dessen Dimension das Format des Gemäldes sprengt, darin klein und einsam der Held des Abends, irrlichternd zwischen Resignation und Ruhm.

Valerian, der Urheber dieses Boxers, ist in Anbetracht der Konsequenz seines bisherigen Werkes noch unfassbar jung.

Er stammt aus Hamburg. In den Landschaften seiner Bilder spiegeln sich auch die karge Heide und die raue Nordküste. Schon früh habe er große Ziele gehabt, sagt er, und sei aus diesem Grund immer ein schlechter Schüler gewesen. Später lebte er eine Weile auf der Straße, bevor er nach Wien fuhr und sich an der Akademie der Bildenden Künste in der Klasse von Daniel Richter bewarb. Es ging gut. Zwanzig Jahre war er damals alt und in seiner Klasse der jüngste Student, der aufgenommen wurde.

Richter habe ihn den Mut zur Selbstkritik gelehrt, erzählt er. Dass man sich niemals ausruhen dürfe, sondern sich bloß immer wieder hinterfragen. Was verlangt das Bild von Dir? Diese Frage treibe ihn heute mehr als alles andere an.

 

Aber Valerian ist, anders als Richter, kein politischer Maler. Ich muss ihm solche Sätze auf Umwegen entlocken, der „Laberflash” ist etwas für andere. Er schweigt lieber und malt, oft an vier Großformaten gleichzeitig, bis zu zwanzig Stunden am Tag. Jedes seiner Bilder, sagt er, knüpfe an das vorhergehende an. 

Der Künstler als um sich selbst kreisender Workaholic — man kennt dieses Lebensmodell zur Genüge — doch Valerian ist keiner dieser Getriebenen. Er hat keine Eile, so hat er das für sich entschieden. Das Werk müsse sich entwickeln, sagt er, und dafür brauche man Zeit. Man wolle ja schließlich nach New York kommen und nicht nur bis St. Pölten.

Früher musste er alles zählen, Steine, Fenster Straßenlaternen. Überall hörte er ein rhythmisches Ticken. Wie die Welt beschaffen sei, darüber dachte er manisch nach. Die Malerei war seine Erlösung. Das Auftragen des Pinsels, sagt er, sei weit entfernt von Mathematik. Hier gibt es für ihn endlich kein Raster mehr und keine Zahlen.

Jedes Bild geht weiter als seine Leinwand. Davon ist er überzeugt. Seine Arbeiten zeigen Räume, darin Menschen, manchmal auch ein Pferd oder kleine Flamingos. Aber was sie vor allem zeigen, sind größere Zusammenhänge, eine übergeordnete Struktur von Raum und Zeit. Das Kleine, Unbedeutende — also alles, was nur im Hier und Jetzt gilt — lässt er in mehreren Farbschichten hinwegspülen von fiktiven Wellen, Regengüssen oder Luftphänomenen.

 

Aber es gibt nicht nur diese monumentalen, fast biblischen Werke. Es gibt es auch Gemälde wie „A Walk”, die von etwas etwas Tiefem und Zärtlichem erzählen, wie ein Text von F. Scott Fitzgerald. Gemalte Geschichten, die mit scheinbar geringstem Aufwand Mond und Sterne herstellen und uns als Betrachter teilhaben lassen an einer langen, großen Nacht.

Antony Valerians Bilder sind keine Gedankengebäude. Sie sind Selbstgespräche der Seele. Berichte vom Werden und Vergehen der Welt.

 

Ich, die Schriftstellerin, sehe in ein Meer ineinander strömender Farben, lasse mich anstecken von der Leichtigkeit seines Pinselstriches. Und jede seiner Arbeiten erinnert mich daran, dass alles mit allem zusammenhängt.

 
antonyvalerian.com